Der Grenzübertritt von Finnland nach Russland funktioniert reibungslos. Voraussetzung ist natürlich ein gültiges Touristenvisum. Die Ausreise aus Finnland ist nur eine kurze Passkontrolle. Dann geht es ca. 2 km durch Niemandsland zur russischen Kontrollstation, wo wir als Radfahrer die Autoschlange umfahren können. Nur das Ausfüllen des Einreiseformulars dauert etwas. Unser Gepäck wird aber nicht kontrolliert.
Was sind die ersten Eindrücke? Alles ist natürlich nur kyrillisch geschrieben. Für uns als Radfahrer aber wichtiger: Es gibt keinen Radweg, man ist eigentlich nur ein Hindernis für die LKWs. Die ersten gut 50 km bis Vyborg versuchen wir uns daran zu gewöhnen, auf dem zum Glück vorhandenen ca.1 Meter breiten Seitenstreifen zu fahren. Denn die Autos und LKWs rasen ohne auszuweichen an einem vorbei. Die Landschaft ist relativ eintönig, Wald auf beiden Seiten, in dem nur wenige ärmliche Holzhäuschen stehen.
In Vyborg ziehen wir mit einer Visa-Karte ohne Probleme Rubel an einem Bankautomaten. Dann kaufen wir in einem Telefonladen eine russische SIM Karte (Beeline, 12 GB Datenvolumen, 300 Telefonminuten für 350 Rubel, ca. 4,60 Euro). Die Bedienung ist sehr bemüht und wechselt uns sogar in einen günstigeren Tarif. Dabei ist die Verständigung ohne Englisch gar nicht einfach. Eine Erfahrung, die wir später noch öfter machen werden: Die Englisch Kenntnisse beschränken sich meist auf sehr wenige Worte. Leider ist die Altstadt von Vyborg wegen eines Filmdrehs gesperrt. So verlassen wir die Stadt bald und fahren durch die scheußlichen Plattenbauten der Vororte. Der Verkehr ist stark am Abend, vor allem LKWs und Busse fahren manchmal sehr nahe und schnell an uns vorbei. Etwas genervt suchen wir uns bald einen Platz, an dem wir ungestört unser Zelt aufschlagen können.
Am nächsten Morgen ändern wir unsere Route etwas, da wir für den Abend eine Zusage von einem Warmshowers Host erhalten haben. Bei Emilowo verlassen wir die Hauptstraße und queren nach Osten durch das Hinterland. Hier sind einige Straßen nur Schotterpisten mit Schlaglöchern. Zum Ausgleich können wir aber bei Rjabowo in einem großen See baden, denn es ist auch hier 30 Grad heiß. Die Fahrt durch das ärmliche Hinterland ist ernüchternd. Es geht durch Wald, in dem immer wieder verstreut teils recht heruntergekommene Holzhütten stehen oder durch Orte, deren Bauten sich vom sowjetischen Verfall noch nicht erholt haben. Die Versorgung mit Essen ist allerdings kein Problem, sobald man es gelernt hat, einen russischen Landladen von außen zu erkennen. Und geöffnet sind sie fast immer, auch sonntags!
Unser Host wohnt in einem der typischen nicht verputzten Mehrfamilienbauten aus der Sowjetzeit. Wie auch die anderen Häuser in dieser Gegend gibt es kein fließendes Trinkwasser! Es muss mit Kanistern von einem Ziehbrunnen geholt werden. Die Wohnung ist in einem total desolaten Zustand, klein und chaotisch vollgestellt. Mit einer Ausrede lehnen wir das Übernachtungsangebot ab, denn ein Bad im nahegelegenen See und eine ruhige Nacht im Zelt ziehen wir unter diesen Umständen vor. Und so genießen wir einige Kilometer weiter unseren “Luxus” im Wald.
Die letzte Etappe nach Sankt Petersburg geht zunächst weiter über viel befahrene Straßen, bevor wir bei Selenogorsk an der Küste meist auf Radwegen am finnischen Meerbusen entlang fahren. Teils gibt es hier schöne Sandstrände, doch das Wasser ist nicht einladend, es sieht Algen-belastet aus.
Verkehr und Straßengrösse nehmen Richtung Sankt Petersburg zu, doch auch ohne Radweg fühlen wir uns auf der rechten, meist breiteren Spur nicht unsicher. Durch Vororte mit unzähligen hohen Wohnblocks geht es vorbei am einzigen Wolkenkratzer der Stadt an das Ufer der Newa. Unser 2 Tage vorher gebuchtes Appartement liegt mitten in der Stadt. Die Anfahrt ist erstaunlich unproblematisch, anstrengend sind nur die für Sankt Petersburg ungewöhnlichen 32 Grad. Wir haben nun 2 Tage Zeit uns die ehemalige Hauptstadt des russischen Zarenreichs und heutige 5 Millionen Metropole anzuschauen.
Tagsüber laufen wir zu Fuß durch die Stadt, fahren mit der Metro zur Gedenkstätte zur Belagerung Leningrads im 2. Weltkrieg und radeln abends entlang der Newa. Es ist zum Glück kühler geworden. Besonders gefällt uns, dass zumindest in der Innenstadt die alte Bausubstanz erhalten wurde und es ganze Straßenzüge ohne Neubauten gibt. Die Kanäle und breit angelegten Straßen lockern das Stadtbild auf und immer wieder stößt man auf barocke Paläste und Museen. Es ist sehr lebendig in der Stadt, an den touristischen Hotspots sogar zu viel! Auch wir lassen uns die wichtigsten Sehenswürdigkeiten nicht entgehen: Newski Prospect, Erlöserkirche, Isaac-Kathedrale, Kasaner Kathedrale, Admiralität, Schlossplatz, Smolny Institut, historisches Kriegsschiff “Aurora”, Peter und Paul Festung … Und natürlich den Winterpalast der Zaren und die Eremitage. Hier wimmelt es allerdings so von meist asiatischen Touristen, dass der Eindruck dieser unglaublichen Ansammlung an Kunstwerken in prunkvollen Sälen etwas getrübt wird. Zwischendurch stärken wir uns mit russischen gefüllten Blini (Pfannkuchen) oder Leckereien in Bäckereien. Die Lebenshaltungskosten und Eintritte sind dabei deutlich niedriger als bei uns, außer der Eremitage (700 Rubel, ca. 9 Euro).
Peter-und-Paul Festung und Winterpalast an der Newa
Highlights aus St. Petersburg


















Gedenkstätte zur Belagerung Leningrads im 2. Weltkrieg
Eremitage (einmalige Säle, die Kunstwerke sind zu viele)
Zurück auf den Rädern fahren wir an einem Kanal entlang und über endlose Ausfallstraßen an Industrieanlagen und Trabantenstädten vorbei nach Westen Richtung Peterhof aus der Stadt hinaus. Nach ca. 35 km erreichen wir den Sommerpalast und die umgebende riesige Parkanlage der Zaren. Da es Montag ist, haben die Paläste und Museen geschlossen. Aber schon die Gartenlage und die zahlreichen, teils vergoldeten Wasserfontänen sind einen Besuch wert. Unsere Räder können wir währenddessen samt Gepäck am bewachten Parkeingang abstellen.
Peterhof, Sommerpalast der Zaren
Am Nachmittag ziehen wir weiter und folgen der viel befahrenen Küstenstraße nach Westen. Der LKW-Verkehr ist unangenehm, da diese oft nur recht knapp an uns vorbeirauschen und es hier weder einen guten Seitenstreifen noch einen Radweg gibt. Als Warnsignal/Abstandshalter befestigen wir einen Stock mit Fähnchen am Gepäck. Wir haben den Eindruck, dass dies einige Fahrer zum langsamer fahren bzw. ausweichen bringt. Kurz vor dem Ort Lebjasche werden wir an einem Kontrollposten aufgehalten. Nach einer Passkontrolle verstehen wir, dass der gesamte Küstenstreifen im Westen seit 2017 für Ausländer gesperrt ist, dass wir ca. 7 km zurückradeln müssen und eigentlich nur auf der großen Straße A120 und A180 nach Ivangorod (Narva in Estland) fahren dürfen. Uns bleibt nichts anderes übrig und wir sind nicht begeistert, 150 km auf einer LKW-Route zu fahren. Nach einiger Zeit auf dieser Hauptroute stellen wir aber fest, dass der durchwegs gute Teer und der ca. 1 m breite Seitenstreifen diese Etappe erträglich machen. Wir kommen gut voran. Die A120 ist wenig befahren, doch die A180 ist die Hauptverbindung zwischen Russland und Estland. Dementsprechend viele Lastwägen sind unterwegs. Unser Rückspiegel hilft, sich auf die heranrauschenden LKWs gefasst zu machen. Landschaftlich ist die Strecke eher eintönig, anfangs viel Wald, später etwas offener mit nur wenigen Dörfern.
Ivangorod ist eine reine Grenzstadt, die auch wir nur durchqueren. Der Grenzübertritt nach Narva, Estland, ist problemlos. Man schiebt dabei die Räder durch die Kontrolle der Fußgänger, überquert den Fluss Narva und merkt schon auf den ersten Metern, dass das Abenteuer Russland vorbei ist. Auch am östlichen Ende der EU merkt man den Unterschied im Lebensstandard und in der Pflege der Gebäude und Anlagen sofort.
Resümee Russland
Radtechnisch nicht entwickelt, gut sind aber die oft vorhandenen Seitenstreifen und Ampeln mit Sekundenanzeige. Bis auf wenige Ausnahmen wird auf Radfahrer einigermaßen Acht gegeben. Geschwindigkeitsbegrenzungen scheint es aber nur durch die PS-Zahl des Fahrzeugs zu geben! Wildzelten war kein Problem, nur die Versorgung mit Trinkwasser ist nicht einfach. Flüsse und Bäche sahen nicht sauber aus und so sahen wir uns 2 Mal gezwungen, Wasser in Flaschen zu kaufen.