Herbstliche Graveltour durch ein flaches Land
September – Oktober 2024
Nun sind auch wir dem neuen Trend erlegen: Graveln mit einem Gravelbike! Im Juli, nach unserer Tour mit den Titan-Reiserädern durch den Balkan, haben wir unsere neuen Gravelbikes zusammengeschraubt (ein paar Details gibt es hier). Nach mehreren kürzeren Testtouren sind die Räder und das neue Setup optimal eingestellt. Dabei wollen wir allerdings unserem Grundkonzept der Selbstversorgung und Unabhängigkeit treu bleiben. Wesentliche Änderungen sind am Ende: kleineres Zelt, kleinere Benzinflasche für den Kocher, noch weniger Kleidung, keine weiteren Schuhe, keine Stühle, nur die „kleine“ Kamera und vor allem weniger Essensvorräte. Letzteres wurde durch die gute Versorgungslage auf einem großen Teil dieser Tour aufgefangen.
Anfang September starten wir eine längere Tour durch und um Dänemark herum. Dieses Ziel haben wir schon eine Weile auf der Liste, denn wir wollen Mal „mehr Strecke als Höhenmeter“ machen und vor allem auch das vielgepriesene dänische Sheltersystem kennen lernen. Da die (oft kostenlosen) Übernachtungen in einer Shelter inzwischen kein Geheimtipp mehr sind, erscheint uns der Herbst geeignet, um diese Plätze in der Nachsaison hoffentlich für uns alleine zu haben. Ein guter Plan!
Wir durften ein sehr ruhiges und aufgeräumtes Land erleben, das uns mit schönen Landschaften und meist gutem Wetter belohnt hat.
Auszeit bei den (zweit-) glücklichsten Menschen der Welt!
Berlin – Rostock
Die Anreise nach Berlin bestreiten wir mit dem eigenen Auto, das wir bei unseren langjährigen Freunden für die Zeit unserer Reise parken können. Bei hochsommerlichen Temperaturen rumpeln wir über Berlins marode Radwege, holprige Kopfsteinpflaster-Straßen und Schotterwege, bis wir nach fast 30 km endlich die Stadt hinter uns lassen. Wir folgen dem Radfernweg Berlin-Kopenhagen, der einem Teilstück des EuroVelo 7 (EV7) folgt. Es geht meist flach an der Havel entlang, in deren braunem Wasser wir uns zur Mittagspause in Oranienburg abfrischen können. Die neuen Räder rollen super und mit Hilfe des leichten Rückenwinds erreichen wir bis zum Abendessen schon Fürstenberg/Havel. Gestärkt suchen wir uns danach einen Übernachtungsplatz. Der nahegelegene, große Unterstand am Augustablick am ruhigen Peetschsee rettet uns am nächsten Morgen vor dem Dauerregen, der uns bis zum Nachmittag hier festhält.
Unsere Route führt weiter über z. T. sehr aufgeweichte Schotterwege durch die Mecklenburgische Seenplatte, vorbei an vielen einsamen Seen und immer wieder unterbrochen von kurzen Schauern. Kurz vor der Grenze des Müritz Nationalparks übernachten wir und lauschen am Abend nur noch dem lauten Röhren der brünftigen Hirsche.
Sonne und Wolken begleiten uns am nächsten Tag durch den Müritz NP. Der erste Teil ist sehr einsam und führt durch ausgedehnte Kiefernwälder, doch je näher wir Richtung Waren kommen, desto größere E-Bike Horden begegnen uns. Uns ist es hier an der Müritz, dem größten Binnensee Deutschlands, viel zu voll. Deshalb halten wir uns nicht lange auf und kurbeln lieber weiter, durch große Waldgebiete und entlang von etlichen großen Seen. Dabei ist leider eine gute durchgehende Beschilderung des Radfernwegs Berlin-Kopenhagen nicht immer vorhanden und das Symbol dafür müssen wir auf den wenigen Schildern schon fast mit der Lupe suchen.
Ab Krakow am See wird die Landschaft dann offener und die riesigen abgeernteten Felder laden einige Kraniche zum Verweilen ein. Wir begegnen auch kaum mehr anderen Radfahrern, schließlich ist es fast schlagartig herbstlich geworden. Nach einer weiteren Regenfront und einem gemütlichen Waldbiwak erreichen wir am vierten Tag Rostock bei Sonnenschein. Wir schauen uns die schöne Altstadt dieser Hansestadt an. Dann kaufen wir noch einen Lebensmittelvorrat im günstigen deutschen Supermarkt ein und radeln das letzte Stück zum Rostocker Fährhafen. Als Radfahrer bekommen wir unsere Tickets (31 € für 2 Personen mit Rad) nur am Schalter und rollen dann bald auf die fast leere Fähre. Die „Hybridfähre“ mit einem innovativen 30 m hohen Rotorsegel bringt uns in knapp 2 Stunden nach Gedser in Dänemark.
Die dänischen Inseln (Kopenhagen)
Dänemark empfängt uns mit ordentlichem Wind und etwas Regen. Und durch eine späte Fährzeit auch noch mit Dunkelheit. Gerade bei solchen Bedingungen ist das dänische Sheltersystem aber ideal. Schon bald haben wir ein geschütztes Plätzchen gefunden, auf dem wir, zusammen mit einer belgischen Radlerin, alleine sind. Bei dem Wind ziehen wir heute aber unser Zelt den hölzernen Unterständen vor. Ansonsten ist alles wie in der Shelter-App beschrieben: es gibt Wasser, Feuerstellen, Müllbehälter, Klos und eine schöne Zeltwiese. Für ein paar Euro können wir auf dem sauberen und aufgeräumten Gelände am Ortsrand quasi kontrolliert „wild“ zelten. Ein wirklich gelungener Auftakt als Beginn der eigentlichen Tour: der Umrundung von Dänemark, mehr oder minder immer der Küste entlang.
Die Shelter-App werden wir nun täglich zu Rate ziehen, um unsere Übernachtungen zu planen. Auch wenn sie noch verbessert werden könnte (z. B. Infos auch in Englisch, eine offline Karte oder mehr Fotos von den Plätzen) bietet sie meist alle notwendigen Informationen, die man braucht. Denn die Shelter und deren Plätze unterscheiden sich manchmal ziemlich: Manche muss man buchen und sie kosten etwas, viele sind kostenlos und wer zuerst da ist, darf bleiben. Meist gibt es Wasser, manche bieten aber sogar eine Dusche. Oft darf man auf den Flächen neben den Sheltern zelten, manchmal aber ausdrücklich nicht. Ein Blick in die App ist für Radler wie uns also immer hilfreich. Im Laufe der Reise wünschen wir uns oft, dass es ein so tolles und einzigartiges Übernachtungssystem auch in anderen Ländern geben würde. Denn wie fast überall in Europa ist „wild“ zelten auch in Dänemark verboten. Durch die angebotene Alternative kommt man aber hier gar nicht erst in Versuchung.
Ein blauer Himmel begleitet uns die ersten Kilometer in das beschauliche Nyköbing Falster, wo wir am alten Wasserturm ausgiebig in der Sonne frühstücken. Durch intensiv landwirtschaftlich genutzte Flächen geht es an die Ostküste der Insel Falster. Hier gibt es noch ausgedehnte Buchenwälder, durch die wir fast autofrei unsere erste dänische Fähre erreichen. Heute nur mit Radfahrern bestückt, bringt sie uns in wenigen Minuten auf die kleine Insel Bogø. Von dort ist es nicht mehr weit bis zum Damm nach Møn. Bevor wir unser heutiges Etappenziel, die berühmten Kreidefelsen, über eine Extra-Schleife auf der gut beschilderten Route 8 (und EV10) erreichen, gibt es auf dieser Insel zunächst unerwartet viele Äpfel-, Zwetschgen- und Birnbäume und vor allem auch viele steinzeitliche Dolmen und Hünengräber zu bestaunen. Und am Ende wartet ein über 100 Höhenmeter Anstieg auf uns, bis wir im schönen Buchenwald an den Klippen unser Zelt auf einer kleinen Wiese aufstellen können.
Die Steilküste, die aus hohen weißen Kreidefelsen besteht, erwandern wir auf einem Rundweg. Dass durch einen Sturm nicht alle Zugänge benutzbar sind, wussten wir, dass man aber auch den Wasserstand beachten sollte, haben wir erst erfahren, als wir am Ende eines erstaunlich einsamen Strandweges nur durch „Schuhe und Hose Aus“ wieder an den Rückweg kommen. Nach dem nicht-geplanten Bad an einer wirklich faszinierenden Küste geht es wieder auf die Räder.
Bergab sind wir bald an der für ihre Kreidemalereien bekannten Kirche von Elmelunde. Innen und außen sehr gepflegt und ganz in weiß gehalten gibt uns diese typisch dänische Kirche einen kleinen Einblick in eine mittelalterliche Geisteswelt. Zurück auf der Route 9 (zugleich EV7 und EV10) geht es für uns dann im Gegenwind über eine Brücke auf die größte Insel Dänemarks und der Ostsee, nach Seeland, wo wir bald an einem kleinen Hafen einen schönen Shelterplatz finden.
Nach einem sonnigen Frühstück führt uns die weitere Route bei Wind und ein paar weißen Wölkchen immer wieder an sehr hübschen weißen reetgedeckten Fachwerkhäusern vorbei, an Buchten mit fast weißem Sand entlang und zur alten Kirche von Højerup. Die Kreideküste Stevns Klint ist wohl auf Dauer den Wellen nicht gewachsen und so wird sich das Meer irgendwann diese fotogene Kirche holen.
Mit dem Küstenort Køge erreichen wir die Ausläufer der dicht besiedelten Region von Kopenhagen. Über viele Kilometer reihen sich die Häuser an einem endlosen Sandstrand entlang, bevor wir über eine schöne Park- und Lagunen-Landschaft das eigentliche Stadtgebiet erreichen. Da es hier keine geeigneten Shelterplätze gibt, stellen wir unser Zelt am großen Camp „Absalon“ auf, wo wir zu dieser Jahreszeit die große Wiese fast für uns alleine haben. Wir freuen uns auf die erste Dusche seit Berlin und genießen auch den warmen Aufenthaltsraum, denn der tagsüber blaue Himmel bringt nachts fast den ersten Frost.
Kopenhagen ist nicht nur eine der lebenswertesten Städte der Welt, sondern verfügt auch über eine sehr gute Radinfrastruktur. So ist es logisch, dass wir die Stadt mit dem Rad erkunden. Ohne Gepäck sausen wir über einen Rad-Schnellweg ins Zentrum, wo wir auf viele andere Radfahrer treffen. Es ist recht ungewohnt, dass man sich manchmal in einen wahren „Strom“ einreihen muss.
Auf einer Radrunde können wir uns einen ersten Eindruck vermitteln und die Stadt hat dabei wirklich viel zu bieten: ALTES- wie das monumentale und sehr schöne Rathaus, den alten Hafen oder die Schlösser Christiansborg, Rosenborg, Amalienborg – , NEUES- wie die Oper mit ihrem gigantischen Vordach, der Bibliothek, deren Name „Schwarzer Diamant“ wir gut nachvollziehen können, oder den „Kaktus Towers“ und anderen Neubauten entlang des Wassers, KLEINES – wie die berühmte und erstaunlich kleine „Meerjungfrau“ und GROSSES – wie das weithin sichtbare Heizkraftwerk „Amagar“ mit einem innovativen Skigebiet auf dem Dach. Überall begegnen wir Design, Kunst, toller Architektur und erstaunlich wenig Verkehr. So kommt uns Kopenhagen als die ruhigste Großstadt vor, die wir bisher erlebt haben. Nichts ist hektisch, alles Top in Schuss – aber vielleicht trägt auch das gute Wetter seinen Teil an unserem positiven Eindruck von der Hauptstadt bei.
Kopenhagen, Ausblick vom Copenhill
Über den gut ausgebauten Radschnellweg C75 geht es über 20 km schnurgerade nach Roskilde. Die geschichtsträchtige Stadt ist bekannt für ihren gotischen Dom (als Grablege der dänischen Könige), dem Wikinger Museum und dem jährlichen internationalen Musikfestival. Letzteres ist schon vorbei und durch die teils saftigen Eintritte in den Ersteren konzentrieren wir uns lieber auf das Radfahren in der angenehmen Herbstsonne. So durchqueren wir an diesem Tag noch einen großen Teil der leicht hügeligen Insel Seeland und finden am Abend einen fantastischen und einsamen Shelterplatz. Ein schöner Sonnenuntergang, ein wärmendes Lagerfeuer und der Sound von Hirschen und Käuzen begleiten uns in eine angenehm milde Nacht.
Bei neblig mystischer Stimmung fahren wir zurück zur Radroute 4 und durch den Åmoser Naturpark. Abschnitte mit guten Schotterwegen wechseln sich mit kleinen Landstraßen ab. Entlang von größeren Straßen gibt es dabei fast immer einen Radweg und so ist das Radeln immer entspannt. Neben der ruhigen Landschaft sind die frei zugänglichen Dolmen eine willkommene Abwechslung, bis wir in das von Industrie geprägte Hafenstädtchen Kalundborg einrollen. Sehenswert ist aber die Frauenkirche, ein romanischer fünftürmiger Backsteinbau.
Die Halbinsel Røsnæs zum westlichsten Punkt von Seeland werden wir in einer Schleife durchqueren, da wir zum einen am nächsten Morgen die Fähre Richtung Samsö und weiter nach Jütland nehmen wollen und zum anderen aber auf die einmalige Shelter unterhalb des Leuchtturms an der äußersten Spitze hoffen. Die Halbinsel bietet einige Shelterplätze, aber keiner kann es mit der in den Hang eingelassenen „Kiste“ aufnehmen. Wir haben Glück und sind heute die Ersten. Und dann gibt es bei fast Windstille auch noch einen super Sonnenuntergang. Was will man mehr, wenn man seine verdienten Nudeln löffelt und dabei die durch den Großen Belt ziehenden Schiffe beobachten kann.
Nach einer ruhigen und taufeuchten Nacht heißt es dann früh aufstehen, denn zurück nach Kalundborg und Fähre sind es einige Kilometer. Frühstück gibt es an Deck, wo auch die wenigen anderen Fahrgäste die ruhige Überfahrt verbringen. Die schöne Insel Samsö lernen wir nur kurz kennen, denn wir kurbeln auf direktem Weg zur nächsten Fähre auf die Westseite. Diese bringt uns dann nach Jütland, dem dänischen „Festland“. Wir verlassen damit die Inselwelt der Ostsee, doch Fähren werden wir auf unserer Tour auch weiterhin noch öfter brauchen.
Ostseeküste
Wir folgen nun auf der gut beschilderten Route 5 (Østkystruten) der dänischen Ostseeküste nach Norden. Bis Aarhus, der zweit größten Stadt Dänemarks, geht es immer nah am Meer entlang. Die Zeltnacht im Wald (die außergewöhnlichen Weidekorb-Shelter sind leider zusammengefallen) und die Stadt Aarhus selber erleben wir eher grau in grau. Eine zähe Hochnebeldecke hat sich über die Küste gelegt. So erscheinen uns auch die „endlose Brücke“ und das Isbjerget Viertel in Aarhus nicht besonders beeindruckend, eher nur modern und etwas steril. Da stechen das Kunstmuseum und auch das Innere des Rathauses mit seiner Architektur aus den 1940ern und seinen Farben direkt hervor.
Die Halbinsel Djursland erreichen wir beim Nationalpark Mols Bjerge. Na ja, Berge ist übertrieben, es ist mehr eine waldige Hügellandschaft. Nach der großen und von vielen Ferienhäusern gesäumten Bucht bei Ebeltoft wird es wieder offener und die Sicht geht über nebelüberdeckte Stoppelfelder. Erst nach einer Nacht am Shelterplatz mitten im Ort Bale (Luxus – mit warmer Dusche und Strom!) wird es wieder sonnig und der Herbst zeigt sich von seiner besten Seite. Zusammen mit dem einige Kilometer nördlich von Grenaa beginnenden Bahntrassen Radweg Gjerrildbanestien haben wir dann perfekte Gravel-Bedingungen. Durch Wälder und Felder geht es auf teils schmalem Pfad durch das östliche Jütland, bis wir kurz danach bei Udbyhøj mit einer Fähre den Randers Fjord überqueren.
Auch der nächste Abschnitt, bis Hadsund und zur Brücke über den Mariager Fjord, ist schnell geradelt. Kurz danach treffen wir bis Bælum wieder auf einen schönen Bahntrassen Radweg. Der ist hier geteert und führt abseits von Straßen durch abgeerntete Felder. Im anschließenden großen Hochmoorgebiet Lille Vildmose sehen wir leider keinen der ausgewilderten Elche, dafür ist die beschilderte Routenführung ins Gelände hinein durchaus „spannend“. Nach ein bisschen Zick-Zack kommen wir wieder ans Meer und fahren bei Hals mit einer Fähre über den Limfjord. Dieses riesige Gewässer trennt die Region Nordjütland vom Rest des Landes ab und bietet seit ca. 200 Jahren eine Verbindung zwischen Nord- und Ostsee. Davor war es Jahrhunderte „nur“ ein Brackwasser Fjord, der vor allem als Fischgrund wichtig war.
Die Strecke über Sæby und Frederikshavn und weiter Richtung Skagen ist etwas langweilig. Da es aber entlang der Küstenstraße meist einen guten Radweg gibt und wir Rückenwind haben, weichen wir von der Radroute 5 (hier auch EV12) etwas ab, beschallen unsere Ohren mit Musik oder Podcasts, und düsen einfach nach Norden durch. Nur in Sæby stoppen wir kurz für die Betonskulptur „The Lady of the Sea„.
Auf den letzten gut 15 Kilometern bis zur Nordspitze Dänemarks wird es aber wieder reizvoll. Ein geteerter Radweg führt abseits durch eine wunderschöne und einsame Heidelandschaft, in der es auch noch einen urigen Shelterplatz gibt. Wir sind froh, für diese mit kleinen Dünen durchsetzte Landschaft und die Abendstimmung noch genügend Tageslicht zu haben. Nach einer letzten Nacht auf dem Weg nach Norden sind wir bald in Skagen und nach wenigen Kilometern an unserem Umkehrpunkt. Hier streitet sich ein breiter Sandstrand mit der Ost- und der Nordsee (Kattegat und Skagerrak) um den nördlichsten Punkt von Jütland. Einen pittoresken Leuchtturm und monströse Bunker aus dem 2. Weltkrieg gibt als Extra noch dazu.
Nach dem obligatorischen Foto, machen wir eine 180 Grad Wende und hoffen ab jetzt auf Wind von Nordost bis Nord.
Nordseeküste
Die ersten knapp 20 km kennen wir bereits. Bis nach Hulsig folgen wir der gleichen Strecke wie gestern Abend, nur scheint heute die Sonne, die die Heidelandschaft in ein schönes Licht taucht. Wir folgen nun der dänischen nationalen Radroute 1 (Vestkystruten), hier Teil des EV12 („Nordseeküsten-Radweg“). Kurz nach Hulsig erreichen wir einen wunderschönen Shelterplatz. Hier lassen wir unsere Räder stehen und machen uns zu Fuß auf den Weg zur Råbjerg Mile, einer bis zu 40 Metern hohen Wanderdüne. Wir genießen die grandiose Landschaft und die Aussicht vom höchsten Punkt. Kaum zu glauben, aber wir sind ganz alleine im Sand der dänischen Sahara.
Die Route führt weiter durch Plantagenwälder und Ferienhaussiedlungen, bleibt aber meist küstennah und die menschenleeren Strände laden überall zum Pausieren ein. Hirthals wird dominiert von Hafenanlagen, denn von hier fahren mehrere Fähren Richtung Norwegen. Wir können unsere Vorräte auffüllen und finden auf einer Waldlichtung einen tollen Übernachtungsplatz. Da für nachts Regen angesagt ist, hängen wir die Zeltunterlage als Schutz vor die Öffnung der Holzhütte.
Es regnet nicht mehr und es ist inzwischen deutlich kühler geworden. Wir radeln zu einer weiteren Wanderdüne beim Leuchtturm Rubjerg Knude Fyr. Das letzte Stück des Weges gehen wir zu Fuß, da wir mit den Rädern im Sand stecken bleiben. Der über 100 Jahre alte Leuchtturm musste 2019 sogar aufwändig versetzt werden, um seinen Absturz in die Nordsee zu verhindern. Die Nebengebäude sind inzwischen ganz vom Sand verschluckt. Der Leuchtturm ist nicht mehr in Betrieb, aber man kann ihn besteigen und „hätte“ von oben einen schönen Ausblick, heute aber leider nicht. Es hat komplett zugezogen und regnet immer wieder leicht. In Løkken verläuft der EV12 ungeschützt für knapp 14 km direkt auf dem Sandstrand. Landschaftlich sehr schön, aber kräftezehrend, denn wir bleiben trotz Fahrspur immer mal wieder im Sand stecken. Der Eindruck des einsamen Strandradlers, den die Bilder suggerieren, stimmt so leider nicht, denn die über den Strand düsenden Autos stören das Erlebnis massiv. Wir wollen uns gar nicht vorstellen, wie es hier im Hochsommer zugeht. Danach geht es bis Thorup Strand nun etwas eintönig abwechselnd durch Plantagenwald und ausgestorbene Ferienhaussiedlungen.
Am nächsten Tag zaubert der Regen/Sonne-Mix farbige Regenbögen in den Himmel. Die einsamen Wege durch die Heide- und Dünenlandschaft mit herrlichen Ausblicken auf den Skagerrak sind Balsam für die Seele. Kurz vor Hanstholm finden wir dann noch mehrere Parasol-Pilze, die das heutige Abendessen verfeinern werden.
Hanstholm besitzt den größten Fischereihafen Dänemarks. Diese Anlagen prägen das Ortsbild. Unzählige Bunkeranlagen erinnern uns daran, dass ab 1940 die deutschen Besatzer während des Zweiten Weltkriegs hier das Herzstück des Atlantikwalls errichtet haben. Hunderte von Bunkern stehen noch immer in den Dünen und an der gesamten Westküste.
Inzwischen scheint die Sonne, aber es pfeift uns auch ein kräftiger Gegenwind um die Ohren und verlangsamt unser Tempo erheblich. Die Küstenregion südlich von Hanstholm gehört zum Nationalpark Thy und ist landschaftlich sehr schön. Hierzu gehören auch die Strände bei Klitmøller und Nørre Vorupør, die unter Surfern weltbekannt sind. Sie werden auch als „Cold Hawaii“ bezeichnet, denn Wind- und Wellen vergleichen sich zum „echten“ Hawaii, nur dass es hier eben kalt ist. Wir beobachten die meterhohen Sprünge einiger Kitesurfer, denn in wenigen Tage soll hier ein Wettkampf im Rahmen der „Cold Hawaii Games“ stattfinden.
Beeindruckt von den akrobatischen Sprüngen reißen wir uns irgendwann los und fahren weiter gegen den Wind bis zum Leuchtturm Lodbjerg Fyr, wo wir sowohl den Shelterplatz als auch den Sonnenuntergang in den Dünen für uns alleine haben.
Am nächsten Tag ist es nur grau in grau, aber der Wind hat gedreht und wir haben einen Fetzen-Rückenwind. So sausen wir in Rekordzeit zum Fähranleger südlich von Agger, wo wir am Automaten das Ticket kaufen. Mit der Fährfahrt verlassen wir Nordjütland und kommen in Thyborøn an. Immer wieder sehen wir große Vogelschwärme, meist Stare, die sich für ihren Flug ins Winterquartier sammeln. Eindeutige Zeichen des Herbsts, wie auch die rot leuchtenden Früchte der Kartoffelrose. Doch so schön deren Blüten im Sommer, als auch die Früchte im Herbst sind, lernen wir zu unserer Überraschung, dass sie ein invasiver Neophyt ist, die den natürlichen Bewuchs der Dünen und Küstenheiden zurückdrängt. Deshalb ist der Kauf der Kartoffelrosen-Pflanze seit 2022 in Dänemark sogar verboten.
Die Vestkystruten 1 führt hier immer entlang der Dünen, meist auf der Innenseite. Manchmal führt die Route dann doch sportlich, aber leider unfahrbar mitten durch die Dünen. Eine kurze Abwechslung bietet der kleine Anstieg hinauf zum Bovbjerg Leuchtturm, der mit seiner roten Farbe schon von Weitem zu sehen ist. Der Wind pfeift uns fast von der Steilküste weg, aber der Tiefblick auf den einsamen Strand mit den Buhnen ist herrlich. Das Wetter ist für die nächsten Tage sehr schlecht angesagt, mit noch mehr Sturm und Dauerregen. Deshalb legen wir in Fjaltring eine Pause ein und buchen uns für zwei Nächte ein Zimmer im gemütlichen und sehr empfehlenswerten Dansk Hostel.
Gut erholt machen wir uns nach der Sturmfront wieder auf den Weg. Doch das Wetter ist noch immer sehr wechselhaft und windig, zunächst meist als Rückenwind. Da sich die Route durch die Dünenlandschaft schlängelt, bedeutet das auch immer wieder Gegenwind. Und das Ganze wird mit dem ein oder anderen Schauer gewürzt. In Søndervig kaufen wir ein und erhaschen durch die Absperrung einen Blick auf die Kunstwerke des Sandskulpturenfestivals. Im Ort wimmelt es hier überall von deutschen Touristen. Da ziehen wir uns lieber wieder zurück in die einsame Dünenlandschaft mit seinen knuddeligen Bewohnern und spüren die Elemente der Natur am einsamen Strand.
Den Shelterplatz südlich von Oksbøl erreichen wir im Regen. Hier sind tatsächlich schon einige Shelter von anderen Radreisenden belegt. Inzwischen ist es dunkel und wir verkriechen uns auf dem matschigen Platz lieber schnell in einen noch freien Unterschlupf. Am nächsten Morgen ist es wieder sonnig und alle kriechen aus ihren Behausungen. Die beiden deutschen Jungs ziehen schon bald los, mit den Belgiern Lisa und Glenn tauschen wir noch viele Erfahrungen aus, bevor wir dann wieder starten. Wir verabreden uns sogar, die nächste Nacht am gleichen Shelterplatz zu verbringen.
Schon bald erreichen wir Esbjerg und kommen an der schneeweißen Skulpturengruppe „Der Mensch am Meer“ vorbei. Sie ist eines der Wahrzeichen der Stadt. Kurz danach verlässt die Route 1 (EV12) die Küste, um Ribe, die älteste Stadt Dänemarks, kennen zu lernen. Hier schauen wir uns den Dom an und fahren mehrere Schleifen durch die Kopfsteinpflastergassen, die von schnuckeligen kleinen bunten Häuschen gesäumt sind.
Wieder zurück an der Küste, die hier mit den vorgelagerten Inseln zum Nationalpark Wattenmeer gehört, fahren wir schnurgerade entlang der Deichinnenseite: etwas monoton, aber irgendwie entschleunigend, wäre da nicht wieder der kräftige Gegenwind. Wie geplant treffen wir Lisa und Glenn bei den Marskshelters i Emmerlev, zwei geniale Shelter, die man drehen und sich so immer windabgewandt aufhalten kann. Da die Temperaturen inzwischen einstellig sind, feiern wir an einem Lagerfeuer dieses für uns Reiseradler so tolle dänische Sheltersystem. Es ist der letzte Abend in Dänemark und keiner von uns freut sich so recht auf das Campen in Deutschland. Am nächsten Morgen trennen sich bei sonnigem Wetter unsere Wege. In Hoyer stoppen wir kurz an der holländischen Windmühle, bevor es dann bei Rosenkranz über die Grenze nach Deutschland geht.